„Kunst ist dafür da, den Staub von der Seele zu waschen“, zitieren die Kunsttherapeutinnen Sandra Born und Maike Beckmann den spanischen Maler Picasso, um ihr Herzprojekt, >die Hofkünstlerei< in Melbeck zu beschreiben. Hierbei klingt schon an: Es geht um wesentlich mehr, als um das, was im landläufigen Sinne unter ‚Kunst‘ verstanden wird. Es geht nicht um bezaubernd hübsche Ergebnisse, um ausstellenswerte, technisch ausgefeilte Exponate. Auch nicht darum, Techniken zu erlernen, die solcherlei Endprodukte erzielen könnten.
Um wieviel mehr es geht, durften wir während unseres Aufenthaltes auf dem alten Bauernhof am eigenen Leib erfahren. Am eigenen Leib und an der eigenen Seele. Leib und Seele, Sinn und Empfindung war das Erfahrungsspektrum, das uns angeboten wurde. Experimentieren, Material erfahren, erleben, was möglich ist. Und darum, was diese Erfahrung ästhetischer Bildung mit uns macht.
Den Anfang gab eine Vorstellungs- und Gesprächsrunde, in der Fragen, die wir im Voraus erarbeitet hatten, beantwortet und besprochen wurden. Eine zugewandte und wertschätzende Atmosphäre, unterstrichen durch das Ambiente des besonderen Ortes, an dem wir uns befanden. Einerseits der Charme eines alten Hofes, dem viele alte Bestandteile erhalten blieben, im Kontrast die unübersehbaren Spuren von bunter, schöpferischer Arbeit. Farbspritzer, bis an die Decke hinauf, ausgehängte Türen, die als Malunterlage dienten, selbst schon Kunstwerk sind. Wir erhielten Einblicke in die therapeutische Arbeit, die den Kern der Hofkünstlerei ausmacht. Denn obwohl auch Veranstaltungen wie Kindergeburtstage auf dem Programm stehen, sind therapeutische Angebote der Kern der dortigen Arbeit: Die professionelle Bearbeitung von traumatisierenden Erfahrungen durch Kunsttherapie, die begleitende Unterstützung beim Aufarbeiten psychischer Krisen. Die Aktivierung von Heilungsprozessen und Bewältigung von Leid. Angebote, die sich sowohl an Kinder, als auch an Erwachsene richten, persönliche Belange, als auch Schicksalsschläge wie Fluchterfahrung betreffen können.
Unsere erste Aufgabe: Ein „Kleckerbild“ zu gestalten. Material: Riesige Bögen Papier, literweise bunte Farben. Und keine Werkzeuge. Außer den Händen. „Lasst die Farbe auf das Papier kleckern, einfach so. Probiert, was geschieht, was euch anspricht“. Wann gibt es schon einmal so eine Möglichkeit? Ohne Hinweise wie „macht nichts schmutzig!“ oder „sei sparsam mit dem Material!“. Schon dieser erste Schritt zeigte deutlich, wie unterschiedlich die Teilnehmenden an Material, Technik und Perspektive herangingen. Manch‘ eine im Stehen, schwungvoll bunte Farbe auf Papier tropfend, kleckernd, spritzend. Andere in ruhiger Detailarbeit, achtsam konzentriert, vorsichtig mit Fingerspitzen die Farbe verarbeitend. So unterschiedlich die Teilnehmenden, so vielfältig die Prozesse und Ergebnisse.
Als Angebot einer Zwischenreflektion gab es Leitfragen, welche jede*r für sich annehmen und beantworten konnte. Eine kleine Pause, Gespräche, Kaffee, Gedanken teilen. Und dann ein zweiter Arbeitsschritt, in dem die bisherigen Werke weiterverarbeitet und verändert werden konnten. Ein Abdruck dessen, was von der Farbe noch nicht getrocknet war, eine Weiterentwicklung, eine Metamorphose, ein Prozess.
Zum gemeinsamen Abschluss tauschten wir Erfahrungen, Erlebnisse, Eindrücke. Wie unterschiedlich Menschen denselben Arbeitsauftrag annehmen, verstehen, bearbeiten. Wie individuell die Herangehensweise, die subjektive Bereitschaft und Fähigkeit sich den Prozessen zu öffnen oder zu verschließen. Wie vielfältig die Wahrnehmungen dieses einen Tages.
J. Gatke